PIM 2033: Eine neue Ära des Produktinformationsmanagements
Product Information Management: ein Blick in den Rückspiegel
Vor über 20 Jahren, parallel zur ersten E-Commerce-Welle, wuchs die Bedeutung des elektronischen Datenaustauschs für Produktinformationen ebenso rasch wie der Wunsch nach einfachem und bequemem Internet-Shopping. Sich etablierende Datenstandards wie UNSPSC, GPC, ETIM und eCl@ss, Austauschformate wie xCBL, cXML, BMECat, Datanorm und EDIFACT schufen die Basis, um Datenprozesse entlang der Wertschöpfungsketten über Unternehmensgrenzen hinweg zu verknüpfen.
Das Management von Produktdaten jenseits der ERP-Systeme, in Marketing- und E-Commerce-Abteilungen wurde bald als Daten-Kernprozess definiert und befüllte bestehende wie neue Vertriebskanäle: PIM als Heimat dieser Arbeitsschritte etablierte sich.
Ein Markt für IT-Systeme entstand, der heute als eigenständige Disziplin im Kontext mit PCM, MAM/DAM, CPQ und PXM Bestand hat.
Gestartet oft als wenig integrierte Abteilungslösung mit dem Business-Ziel, neue Vertriebskanäle (möglichst schnell) mit den notwendigen Produktdaten zu versorgen (PIM 1.0), erhöhte sich der Reifegrad von PIM-Lösungen bereits nach wenigen Jahren: vom einfachen Excel-Toolersatz hin zum integralen Prozessbestandteil des Lebenszyklus für Produktdaten, der nunmehr Datenqualität, Rollen-Governance und Business Intelligence gleichermaßen adressierte.
In den letzten Jahren hat sich die PIM-Disziplin als flexibel erwiesen und sich in die entstehenden ganzheitlichen Datenstrategien integriert. Die Wandlungsfähigkeit von PIM ist bis heute bemerkenswert:
- Als Teil einer Multidomain MDM-Strategie ist PIM das Eingangstor für Lieferantendaten und bildet im Zusammenspiel mit dem ERP den Golden Record sowie zentrale Merkmals- und Hierarchiestrukturen ab.
- Als Autorenapplikation bündelt PIM die Pflege von Produkttexten, zugehörigen Bildern und Dokumenten, übersetzt und lokalisiert Produktinformationen und bereitet sie kanalspezifisch auf.
- Als Datenakquise- und -distributionsplattform ist PIM ein Bestandteil unternehmensweiter Datenintegrationskomponenten.
Die jeweils spezifischen Business Cases sind weiterhin entscheidend dafür, mit welchem Prozessschwerpunkt sich PIM in bestehende Prozess- und Applikationslandschaften integriert. So stehen MDM-bezogene Implementierungen (= Product MDM) gleichberechtigt neben Customer Experience ausgerichteten, zielgruppenspezifischen Produktdistributionsszenarien (= Fokus PXM).
Der heute ausgereifte und in den letzten Jahren konsolidierte Softwaremarkt hat sich an diesen Prozessschwerpunkten orientiert. Dennoch behelfen sich weltweit Anwender und Verantwortliche für Produktdaten allzu oft (wir können hier unglaubliche Geschichten erzählen) mit zumeist Excel-basierten Workflows – was wir als das PIM-Reifegrad-Paradoxon bezeichnen. Dazu später mehr.
Unsere Prognose: PIM 2033
Wohin führt der Weg in den nächsten Jahren, welche Perspektiven bietet PIM als Datendisziplin in der Zukunft? Auf Grundlage unserer Erfahrungen und Erkenntnissen der letzten 20 Jahre haben wir eine Zukunftsprojektion für PIM entworfen. Dabei haben wir uns bei der Formulierung unserer Hypothesen zur Beschreibung der nächsten PIM-Dekade von folgenden Leitfragen leiten lassen:
- Business: Welche Anwendungsfälle gewinnen an Bedeutung, welche Business Cases werden wesentlich sein?
- Technologie: Welches sind die technologischen Treiber der kommenden zehn Jahre? Worauf setzen PIM-Technologiekonzepte der Zukunft auf?
- Organisation: Wie verändert sich die PIM-Prozesshoheit im Kontext zentraler und dezentraler Datenplattform-Konzepte? Welche Bedeutung kommt den Anwendern und Nutzern von Daten und deren Bedarfe zu?
Neben diesen Leitfragen wird unserer Erwartung nach die Themenagenda der Executive-Level den Einfluss auf PIM zunehmend erhöhen. Risikomanagement und Compliance-Vorgaben ebenso wie die Dringlichkeit zur Nachhaltigkeit und Klimaneutralität (Environmental, Social and Governance ESG) setzen zweifellos wesentliche Rahmenbedingungen und Zielvorgaben für den Umgang mit Produkten und deren digitalen Abbildern.
Die folgenden fünf Hypothesen stellen unsere Projektion des Managements von Produktdaten in den nächsten zehn Jahren vor:
1. PIM verstärkt die Bindung zwischen ERP und CX
Flexible Produktsortimente, komplexe Produktstrukturen und ein stetig wachsender Bedarf an digitalen Produktservices bestimmen die Fähigkeiten von Produktinformationsmanagement. Während insbesondere im B2C-Handel die Prozessautomatisierung (= Augmented PIM) die schwindenden Margen kompensiert (besser kompensieren muss), profitiert die Industrie zusehends von der Reife der PIM-Disziplin, investiert in Datenarchitektur und Organisation ebenso wie in Datenqualität und Performance. Die gereiften Konzepte der Industrie 4.0, die steigende Relevanz digitaler Produkte und Services bei gleichzeitiger Diversifizierung der Customer Journey stärken die anteilige Bedeutung von PIM entlang der End2End Prozesse.
Daneben werden wir zunehmend eine tiefere Integration in MDM-Strategien (=Backend-Fokus PIM) erleben, die durch eine definierte Datendistributionsarchitektur zur breiten Nutzung von Daten im Sinne von „Data-as-a-Product“ vervollständigt wird (= Syndication-Fokus PIM).
2. KI/AI befeuert die Prozessautomatisierung
Nicht ausschließlich, aber insbesondere der Handel wird das Management seiner heterogenen Sortimente und spezifischer Kundenansprachen mit hoher Unterstützung von KI zur Automatisierung und Beschleunigung der Datenmanagementprozesse einsetzen. Augmented PIM ist unsere Antwort auf die heute aufwändigen und damit teuren manuellen Datenpflegeprozesse in PIM. Neben der Prozessautomatisierung sind KI-unterstützte Anwendungsfälle zur Qualitätskontrolle ebenso Teil künftiger PIM-Lösungen:
- Prozesseffizienz durch KI: KI-gestützte Matching Services beschleunigen den Onboarding-Vorgang von Produktdaten, werden flexibler Bestandteil der Stammdatenprozesse im ERP-Verbund und flexibilisieren damit die Lieferketten und Einkaufsbeziehungen erheblich.
- Compliance und Qualität durch KI: die Produktklassifikation, das KI-gestützte Mapping von Attributen, Werten und Einheitensystemen werden die Datenqualität ebenso verbessern wie mustergestützte Vergleiche selbstlernender Systeme – zum Beispiel zur automatischen Produktzuordnung von Bildern und Dokumenten. Damit sinken einerseits die Risiken durch fehlerhafte Produktdaten, während zusätzliche Serviceangebote durch die verbesserte Content-Qualität erstellt werden.
3. Der Autorenanteil wird schwinden – und das ist gut so!
Neben der technischen Integration von Produktdaten sind PIM-Systeme bis heute entwickelt als echte Business-Applikationen, die die Autorenprozesse, also das (kreative) Schreiben und Klassifizieren von Produktcontent in den Datenmanagementabteilungen umfassend abbilden. Schaut man allerdings genauer hin, dann pflegen hoch qualifizierte Mitarbeiter einfachste Daten, befüllen Produktattribute, die zu weiten Teilen aufgrund der Produktfamilien-Charakteristik zweifelsfrei feststehen. Das ist wahrlich Verschwendung menschlicher Entscheidungsfähigkeit!
Wir sind überzeugt, dass das künstliche Erzeugen und Kombinieren von Inhalten, Texten, Attributen und Bildern, einer der wesentlichen Treiber für PIM der kommenden Jahre sein wird. ChatGPT & Co geben uns einen ersten Ausblick, welches Potenzial in der automatisierten Content-Erzeugung liegt. Durch KI werden Datenmanagement Use Cases zum einen automatisiert, zum anderen zusätzlicher Kundennutzen generiert: indem zielgruppenorientierte Betextung und Sprachübersetzung, eine visuelle Personalisierung in nahezu beliebigen Kanälen erst möglich wird.
Kunden werden von dieser individualisierten Produktkommunikation profitieren, sie schätzen lernen und dadurch in eine stabile Kundenbeziehung einzahlen.
4. PXM verbindet zunehmend Produkt- mit Kundendaten
Die Bedeutung der Product Experience, also das gesamte Produkterleben eines Kunden über die verschiedenen Phasen der Customer Journey hinweg, sehen wir als einen weiteren wesentlichen Business-Treiber der nächsten Jahre. Dabei gilt es, Produkt- mit Kundendaten zu verknüpfen und das daraus entstehende individuelle Produktangebot aktiv zu managen: beginnend bei der kundenseitigen Produktrecherche, bei Interesse und Kaufabsicht, im Aftersales und Beschwerdemanagement. Das bedeutet, dass die Produktkommunikation mehr denn je bidirektional aufgesetzt ist, die Outside-In Perspektive quasi Realtime-Relevanz bekommt. Kunde und Produkt, Individualinteressen und ausgewählte Produktteilsortimente werden als Einheit zum erfolgskritischen PIM-Faktor der kommenden Jahre.
PIM wird sich in diesem PXM-Prozesskontext unserer Erwartung nach aufspalten in einen Daten-Layer, der im Wesentlichen Produktdaten konsolidiert, die Qualität sichert und hochwertige Kerndaten bereitstellt. Daneben wird ein zweiter PXM-Layer die Individualisierung von Produkt und Interessent verantworten und mit Architekturelementen wie CRM und CDP die Beziehung Kunde/Produkt als konkretes Angebot aktiv führen. Die gewonnenen Erkenntnisse aus diesen 1:1 Beziehungen werden Teil des Insight Managements eines Unternehmens. Sie liefern wertvolle Daten für Business Intelligence und wirken auf Supplier- und Sortimentsmanagement, auf Ein- und Abverkaufsprozesse ein. Kombiniert mit externen Quellen wie Wettbewerbsdaten, soziodemografischen Informationen oder simplen Wetterprognosen als saisonale Parameter wird die generelle Prognosefähigkeit eines Unternehmens unter Beteiligung von PIM spürbar unterstützt.
5. PIM wird Teil einer übergreifenden Datenplattformstrategie
Wir erwarten, dass PIM mehr und mehr Bestandteil einer unternehmensweiten Datenplattformstrategie wird: als Teil einer ganzheitlichen Verwaltung und Nutzung von Daten im Unternehmen, mit dem Ziel, bessere Geschäftsentscheidungen treffen zu können. Als Teil einer Plattformstrategie sind Produktinformationen als Serviceprodukt aufgesetzt, werden übergreifende Architekturkonzepte zur Schlüsselkompetenz. So wird die Datendomäne Produkt flexibel nutzbar, beispielsweise im strategischen Rahmen einer Data Fabric als einheitliche Schicht über vorhandene Datenquellen. PIM wird hierzu im Verbund mit weiteren Architekturkomponenten wie ERP und MDM, CPQ und DAM einen zentralen Beitrag leisten.
Durch die Verknüpfung von PIM mit anderen Datenquellen werden Unternehmen komplexe Analysen durchführen, um Einblicke in Produktleistung, Kundenverhalten und Markttrends zu gewinnen. Dabei werden Daten interoperabel und anwendungsbezogen verfügbar sein. Aus unserer Sicht liegt hierin ein wesentlicher Bestandteil der Datenstrategie eines Unternehmens: Wir prognostizieren, dass die non-proprietäre, souveräne Hoheit über die Datenhaltung und damit die allgemeine Nutzbarkeit der unternehmenseigenen Informationen als kritischer Erfolgsfaktor gilt.
Der PIM-Anbietermarkt wird diesen fünf Hypothesen folgen. Monolithisch ausgerichtete All-in-One-Applikationen verlieren weiter an Bedeutung, während neue relevante Marktteilnehmer auftreten. Diese integrieren sich, den Composable/MACH Architekturansätzen insbesondere für die PXM-Layer folgend, als Teil der Cloud-basierten Datenplattform und punkten funktional mit einem eindeutigen Prozessfokus und der nativen Integration von KI-Services.
Neben einem konsolidierten PIM-Markt der ersten und zweiten Generation sind diese neu auftretenden PIM-Spezialisten „erlaubte“ Alternativen, sind schnell und leichtgewichtig zu implementieren und erweitern so den Anbietermarkt der kommenden Jahre.
Expertentalk: PIM 2033 – Wohin geht die Reise?
26. Oktober 2023 | Live-Webinar
Wir möchten unsere Berater- und Analystensicht mit der Praxis abzugleichen. Dazu haben wir Experten von Stihl, Förch und Dr. Oetker zu einer Paneldiskussion eingeladen. Melden Sie sich an und erhalten Sie von Marktführern Anregungen für Ihr eigenes Produktinformationsmanagement!
Die Gartner Trends für Data & Analytics
Bezogen auf unsere Parsionate Prognose PIM 2033 benennen die Analysten von Gartner beachtenswerte Thesen und Erwartungen, die wir als generellen Rahmen unserer PIM-Projektion der nächsten zehn Jahre setzen.
„Think like a Business“ ist für das Datenmanagement der Zukunft die kraftvolle Perspektive, Wertschöpfung und Nutzen durch (Produkt-)Daten in den Mittelpunkt zu stellen – und die dadurch notwendigen Bedingungen speziell für die IT zu akzeptieren.
Die IT-Abteilungen werden künftig vermehrt neue technologische Fähigkeiten aufbauen und Unternehmensarchitekten und D&A-Funktionen zur Zusammenarbeit auffordern. Denn ein Plattform-bezogenes Ökosystemdenken erfordert D&A-Fähigkeiten, die auf ein konsistentes und abgestimmtes breites technisches Umfeld ausgerichtet sind. Dadurch lassen sich neue Fähigkeiten nahtlos und (kosten)effizient aufbauen und innerhalb der Organisation übergreifend einsetzen.
Und es sind nicht zuletzt die Menschen, neben der Ausbildung von Datenspezialisten insbesondere die Anwender und Konsumenten von Produktdaten, auf die wir uns konzentrieren werden: indem wir deren datenbezogenen Fähigkeiten ausbauen und notwendige Veränderungsprozesse in den täglichen Arbeitsabläufen begleiten. Organisationskonzepte wie Datendemokratisierung, die konsequente Transparenz, das kritische Verständnis von Daten (=Data Literacy) und deren Verantwortung (=Data Governance) sind die Basis, um Datenkompetenz und Data Leadership zur Vision zu erklären. Und lösen letztlich das PIM-Reifegrad-Paradoxon.
Wir haben vor wenigen Wochen mit Helen Grimster, „Sr Principal Analyst at Gartner and #QueenofPIM", auf dem Gartner D&A Summit in London unsere Sicht auf PIM und Multichannel-Organisationen diskutiert. Wir stimmen mit Helen überein, dass die Customer Experience und auch die Digital Shelf Aktivitäten, dass PIM „vom Kunden her gedacht“ entscheidend ist und auch bleibt. Jeder aktuelle wie künftige PIM-Anwendungsfall steht in direktem Bezug mit den Erwartungen des Kunden – und damit den ergebniswirksamen Business Cases von Unternehmen.
Die künftig erwartete Flexibilität von Plattformarchitekturen und neu auftretende PIM-Marktanbieter lassen es zu, zwischen MDM, PDM, PIM, DAM und PXM den passenden Prozessfokus zu setzen und rasche und messbare Umsetzungserfolge zu erzielen. Dabei ist es entscheidend, das richtige Maß von Prozesseffizienz und Automatisierungspotential durch KI einerseits, von Effektivität in der Multichannel-Ansprache und -Kommunikation andererseits zu finden.
Lieben Dank an Helen an dieser Stelle für den wertvollen Austausch.